Die Station 04 –
Turmschule steht hier stellvertretend für die Entwicklung des Schulwesens
in der Marktgemeinde Riedlingsdorf. Den Namen erhielt dieses Gebäude im
Volksmund aufgrund der Tatsache, dass die evangelische Kirchengemeinde, welche
dieses Gebäude 1849 als Schulgebäude errichtete, es 1852 um einen Glockenturm
erweiterte.
Aus dieser Begebenheit lässt sich auch ableiten, dass das
Schulwesen in Westungarn und auch im Burgenland der 1. Republik von den
Kirchengemeinden getragen wurde, mit allen damit verbundenen Vor- und Nachteilen.
Erst der Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich führte dann schließlich dazu,
dass die Nationalsozialisten das Schulwesen im Burgenland verstaatlichten.
Abbildung 1: Das Schulgebäude mit dem namensgebenden Turm
Galten die Kirchengemeinden über viele Jahrzehnte als die
Bildungsträger in der Ortschaft, so liegen die Anfänge des Schulwesens in
Riedlingsdorf sowohl auf der evangelischen als auch auf der katholischen Seite
weitgehend im Dunklen.
Offiziell begann das evangelische Schulwesen im Ort am 21.
September 1794 als die Comitatscongregation der Kirchengemeinde die Erlaubnis
erteilte eine eigene Schule gründen zu dürfen. Zuvor hatte der Unterricht lediglich
auf privater Basis stattgefunden. So berichtete es zumindest 1899 anlässlich
des 50-jährigen Errichtungsjubiläum der Turmschule der Kaplan Theophil Beyer.
Seiner Aussage nach, hatte sich im Ort die Information erhalten, dass ein
Kinderfreund bereits vor dem Erlass des Toleranzpatentes im Jahre 1781, das den
evangelischen Christen im Habsburgerreich wieder ihre Religionsausübung
ermöglichte, Kinder um sich gescharrt und sie im Lesen, Schreiben und Rechnen
sowie im Allernotwendigsten in der Religion unterrichtet hatte.
Der erste von der Kirchengemeinde organisierte Unterricht fand
dann im Haus Nr. 158 (heute Mühlgasse 8) unter dem Lehrer Andreas Portschy
statt, der diese Tätigkeit von 1795 bis 1842 ausübte.
Auf katholischer Seite war das Schulwesen im Ort schon länger
organisiert, Aufzeichnungen über dessen Organisation gibt es aber auch hier nur
bruchstückhaft. Als erster katholischer Lehrer in Riedlingsdorf fungierte ab
dem Jahre 1759 ein gewisser Leopold Fleckh. Über seinen oder einen seiner
Nachfolger, Leopold Röck, sind zumindest einige Informationen erhalten
geblieben. So wird er bei der kanonischen Visitation mit Jahre 1779 als
64-jährig beschrieben, aus Gradwein in der Steiermark stammend und bereits auf
21 Dienstjahre in Riedlingsdorf zurückblickend.
Gedicht von Hans H. Piff
Sprecher Hans H. Piff vulgo Kaipl Motz
Gedicht von Bella Bodendorfer
Sprecher Hans H. Piff vulgo Kaipl Motz
Gedicht von Bella Bodendorfer
Sprecher Hans H. Piff vulgo Kaipl Motz
Die Rahmenbedingungen dieses konfessionellen Schulwesens im
19. Jahrhundert versetzen uns Menschen des 21. Jahrhunderts wohl in großes
Staunen, um es diplomatisch auszudrücken.
So war für katholische Schulen als Norm festgelegt, dass die Schule
in zwei Klassen geteilt ist. Die Aufgabe der ersten Klasse war es den Kindern
das Buchstaben-Kennen, das Buchstabieren, das Drucklesen und die Anfangsgründe
der Religion beizubringen. Als Ziel der zweiten Klasse wurde das Schriftlesen,
das Rechnen und für die „tauglichen“ Schüler der Musikunterricht vorgegeben.
Für den Religionsunterricht war die Erklärung der Grundwahrheiten und der
Evangelien durch den Pfarrer vorgesehen.
Die Bedingungen, welche die evangelischen Lehrer bei ihrer Unterrichtstätigkeit
vorfanden, waren viel schlechter als jene ihrer katholischen Kollegen. Dies lag
vor allem an dem Umstand, dass mindestens 80 Prozent der Dorfbevölkerung
evangelischen Glaubens waren und somit auch die Masse der unterrichteten Kinder
in ihren Zuständigkeitsbereich fiel. Ein Stundenplan, den der damals
13-jährige Schüler Gottlieb Kaipel (Hausnummer 22, heute Untere Hauptstraße
107) im Jahre 1834 in sein Notizbuch schrieb, lässt erahnen unter welchen
Schwierigkeiten damals der Unterricht mit weit über 100 Schülerinnen und
Schülern in einer Klasse stattfand:
„Einteilung
und Folge des öffentlichen Schulunterrichtes:
Am Montage
und Donnerstage:
Vormittags:
1. Stunde:
Die Größeren und die Mittleren auswendig Aufsagen aus dem Gesangsbuch
2. Stunde:
Lesen aus dem Gesangsbuch und Rechnen
3. Stunde:
Die größeren Schulkinder Schreiben, die kleineren Aufsagen
Nachmittags:
1. Stunde:
Lesen aus dem Gesangsbuch und Rechnen
2. Stunde:
Die größeren und mittleren Schulkinder Schreiben
3. Stunde:
Die kleineren Schulkinder sagen auf
Am Dienstage
und Freitage:
Vormittags:
1. Stunde:
Die größeren und die mittleren Schüler sagen auswendig im Katechismus auf
2. Stunde: Lesen
aus dem Gesangsbuch und Rechnen
3. Stunde:
Die größeren Schulkinder Schreiben, die kleineren Aufsagen
Nachmittags:
1. Stunde:
Lesen aus dem Lesebuch und Rechnen
2. Stunde:
Die größeren und mittleren Schulkinder Schreiben
3. Stunde:
Die kleineren Schulkinder sagen auf
Am Mittwoche
und Sonnabend:
Vormittags:
1. Stunde: Aufsagen
des Evangeliums
2. Stunde: Aufsagen
der Biblischen Geschichte
3. Stunde: Rechtschreibung
der … Geographie“
Konkrete Schülerzahlen sind aus dem Jahre 1873 bekannt, in
diesem Jahr bestand die evangelische Schulklasse aus rund 170 (!!) Kindern. Da
unter diesen Rahmenbedingungen an einen qualitativen Unterricht nicht zu denken
war, entschloss sich die evangelische Kirchengemeinde 1876 einen zweiten Lehrer
zu engagieren. Als einziger Schulstandort für die evangelischen Kinder diente
nach wie vor die Turmschule, in der man kurzerhand eine Trendwand einzog um die
nun zwei Klassen voneinander zu trennen. Da aber auch dies auf die Dauer keine
befriedigende Lösung darstellte, erfolgte Mitte der 1890er-Jahre der Ankauf des
ehemaligen Brucknerschen Gasthauses (Hausnummer 218) und der Umbau desselbigen
in einen zweiten Schulstandort für die evangelischen Kinder.
Die Rahmenbedingungen für die katholischen Lehrer des 19.
Jahrhunderts im Ort waren mit denen der evangelischen Lehrer nicht zu
vergleichen. Während die evangelischen Klassen aus weit über 100 Kindern
bestanden, fanden die katholischen Kollegen Klassengrößen vor, die auch unseren
heutigen Maßstäben genügen würden. So unterrichtete der katholische Lehrer
Alois Amon 1855 gerade einmal 16 Knaben und 12 Mädchen. Als Schulgebäude diente
das auf Kirchengrund errichtete ehemalige Haus Nr. 70, an dessen Platz später das
alte Raiffeisenkassengebäude errichtet wurde.
Die Lehrkräfte beider Konfessionen unterrichteten nicht nur
die Kinder des Dorfes sondern hatten auch Zusatzaufgaben, und dadurch auch
Zusatzeinkünfte, für das Läuten der Glocken und das Singen bei Begräbnissen.
Auf katholischer Seite sind Informationen über die materielle
Situation des Lehrers, damals unterrichtete Karl Rechersberger, ein gelernter
Weber aus Böhmen, aus dem Jahre 1832 überliefert, welche in der damaligen
kanonischen Visitation beschrieben sind. Demnach besaß der Lehrer vier Äcker
und drei Wiesen. Er bekam von jedem Kinder 24 Kreuzer an Schulgeld, 5 Kreuzer für
das Läuten und 10 Kreuzer für das Singen bei einem Begräbnis. An Naturalabgaben
erhielt er von jedem Hausbesitzer mit Fuhrwerk 2 Maß (rund 2,8 Liter)
Winterweizen, von jedem „Inwohner“ 1 Maß.
Sein evangelisches Gegenüber, in der Person von Lehrer Samuel
Bruckner, erhielt 27 Jahre später ein Jahresgehalt von 80 Gulden, jährliches
Schulgeld von jedem Kind in der Höhe von 40 Kreuzern, für ein Begräbnis 24
Kreuzer. An Naturalabgaben 300 Stück Kopfkraut, 10 Metzen (rund 600 Liter)
Weizen und 11 Metzen Korn. Außerdem von jedem Haus einen Bund Stroh und Holz
nach Bedarf.
Auch 40 Jahre später hatten sich die Naturalabgaben der
Gemeinde an den evangelischen Lehrer nicht viel geändert. Das Jahresgehalt, das
er in vierteljährlichen Raten erhielt, umfasste nun 150 Gulden. Direktes
Schuldgeld bekam er keines mehr, dafür gab es einen Schulgeldersatz in der Höhe
von 32 Gulden und 50 Kreuzern. Für das Singen und Läuten bei Beerdigungen
erhielt er 40 Kreuzer. Alle Fuhrarbeiten für ihn waren durch die Gemeinde
unentgeltlich zu erbringen. Er durfte außerdem den sogenannten Schulacker
benutzen und eine Wiese.
Als 1921 aus den deutschsprachigen Gebieten mehrerer
ungarischer Komitate das Burgenland entstand, war dessen Bildungssystem im
Vergleich zu Rest-Österreich mehr als rückständig. Das lag einerseits an der
Sprachenvielfalt, die es in vielen kroatisch- und ungarisch-sprachigen Ortschaften
gab, am bereits beschriebenen konfessionellen Schulwesen, aber auch an der
Tatsache, dass die allgemeine Schulpflicht in Ungarn nur sechs Jahre dauerte,
während im restlichen Österreich seit dem Reichsvolksschulgesetz von 1869 acht
Jahre obligatorisch waren.
Das burgenländische Schulsystem wurde beschönigend als
„niederorganisiert“ bezeichnet, diese Mängel betrafen aber nicht nur die
organisatorischen Rahmenbedingungen sondern auch den oft desolaten Zustand der
Schulgebäude, welche meist feuchte Wände hatten und mit kleinen Einzelöfen, wo
ständig Holz nachgelegt werden musste, im Winter beheizt wurden.
Dass
dieses konfessionelle Schulsystem im Burgenland noch bis zum Anschluss
Österreichs an das Deutsche Reich zumindest im Primärbereich weiterbehalten
wurde, lag einerseits an der schlechten finanziellen Verfassung der 1.
Republik, andererseits aber auch am Widerstand der Konfessionen, welche eine
Umstellung auf ein staatliches Schulsystem in Österreichs jüngsten Bundesland
verhinderten. Bis zum Schuljahr 1924/25 erfolgte eine schrittweise Anpassung
der Schulpflicht im Burgenland auf das achtjährige österreichische System. Das
bedeutete daher auch für die Riedlingsdorfer Kinder, dass sie nun um zwei Jahre
länger in die Schule gehen mussten.[1]
Mit dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich und der
Machtübernahme der Nationalsozialisten war das Ende des burgenländischen
Sonderweges im Bildungsbereich besiegelt. Bei der Besetzung der Lehrerstellen
in der Ortschaft waren nun politische Gesichtspunkte ausschlaggebend. Durch den
bald einsetzenden Zweiten Weltkrieg litt auch der Schulbetrieb, weil immer mehr
Lehrer zum Wehrdienst eingezogen wurden.
Nach Ende des Krieges erfolgte die Aufnahme des Unterrichtes
am 10. September 1945 nachdem zuvor aufgrund der Wirren der letzten
Kriegsmonate kein Unterricht stattgefunden hatte. Auch die Lehrerbesetzung bei
diesem Neubeginn war wiederum politisch motiviert. Es gab Entlassungen, Versetzungen
und Wiedereinstellungen, sodass es bis 1955 zu ständigen Personalwechseln in
den Riedlingsdorfer Klassen kam. Der Lehrer Adolf Unger wurde in dieser Zeit
zum Schulleiter ernannt. Der Unterricht von rund 150 Kindern erfolgte in acht
Jahrgängen, wobei aus diesen vier Klassen gebildet wurden. Viele Schülerinnen
und Schüler entschieden sich damals für die Oberstufe der Volksschule. Nur
wenige besuchten die Hauptschule in Pinkafeld oder das Gymnasium in
Oberschützen.
Zwei
Lehrpersonen, Elfriede Pathy und der spätere Schulleiter Hans Hutter, welche in
weiterer Folge jahrzehntelang das Bildungssystem in Riedlingsdorf prägen
sollten, traten Ende der 1940er-Jahre in Dienst in Riedlingsdorf an.
Abbildung 2: Eine Klasse Anfang der 1950er-Jahre mit Klassenlehrerin Elfriede Pathy und Schulleiter Adolf Unger (Bildquelle: Privatarchiv Philipp Bundschuh)
Die vier Klassen befanden sich in den bereits vor dem Ersten Weltkrieg genutzten Standorten, der Turmschule, der katholischen Schule sowie dem ehemaligen Brucknerschen Wirtshaus, wo zwei Klassen untergebracht waren. Mitte der 1960er-Jahre stellte schließlich eine Kommission des Landeschulrates fest, dass sich diese Gebäude in einem desolaten Zustand befänden. Die Gemeinde Riedlingsdorf entschloss sich daher 1970 zum Bau einer neuen Schule, welche umgangssprachlich den Namen „Zentralschule“ erhielt, beherbergte sie nun für die folgenden 30 Jahre die Klassen sämtlicher Riedlingsdorfer Kinder. Die bisher verwendeten Schulgebäude wurden an die Kirchengemeinden zurückgegeben, welche sie anderen Nutzungszwecken zuführten. So ging die Turmschule in den Besitz der Tischlerei Spiegel über.
Abbildung 3: Der Klassenlehrer und spätere Direktor Hans Hutter mit einer Schulklasse Anfang der 1950er-Jahre (Bildquelle: Privatarchiv Philipp Bundschuh)
Die Riedlingsdorfer Gemeindevertretung hatte sich beim Bau der neuen Schule für eine für die damalige Zeit moderne Bauweise mit Fertigteilen entschieden, deren Schwachstellen erst im Laufe der Zeit sichtbar wurden. Da eine Sanierung der Baumängel sich irgendwann nicht mehr rentierte, entschloss man sich Mitte der 2000er-Jahre zu einem Abriss der Zentralschule und zur Errichtung eines neuen Schulgebäudes. Diese Schule, mit ihren großzügigen Klassenräumen und einem großen Mehrzwecksaal, dient nun seit 2007 allen Riedlingsdorfern Kindern als Bildungsstätte.
[1] Vgl.
Johann Pehofer: Geschichte des
burgenländischen Schulwesens, ph-online.ac.at, abgerufen am 8. Juni 2022