Um das Jahr 894 überquerte das Volk der Magyaren die Karpaten
in südwestlicher Richtung um in weiterer
Folge die Pannonische Tiefebene in Besitz zu nehmen. In den Folgejahren
unternahm dieses Reitervolk ausgedehnte Raubzüge, die es weit bis nach Frankreich
und Spanien führten. Um diese Ungarneinfälle in das hauptsächlich davon
betroffene Ostfrankenreich ein für alle Mal zu unterbinden, stellte sich der
ostfränkische König Otto I. mit seinen Heer den Ungarn entgegen und vernichtete
die Angreifer am 10. August 955 in der Schlacht auf dem Lechfeld in der Nähe von
Augsburg.
Die
Ungarn zogen sich nach dieser schweren Niederlage für immer hinter die Leitha
und die Lafnitz zurück, diese Grenze sollte fortan für fast 1000 Jahre die
Grenze Ungarns zu Österreich bilden. Um diese Grenze vor Einfällen aus dem
Westen zu schützen errichteten die Magyaren das sogenannte Gyepűsystem,
ein 10 bis 40 Kilometer breiter Grenzödlandstreifen. Die Westgrenze dieser militärischen
Pufferzone bildeten die beiden Flüsse Lafnitz und Leitha, deren Ostufer durch
das Anlegen von Überschwemmungsgebieten und durch das Bilden von Verhauen
möglichst schwer passierbar für fremde Truppen gemacht wurde. Innerhalb des Gyepűsystems
erfolgte die Gründung von Wehrsiedlungen, in denen zwei Typen von Grenzern
angesiedelt wurden. Einerseits gab es die sogenannten Warte (Ör), welche als
leichte Kavallerie die Grenze überwachten. Orte wie Oberwart (Felsőőr) oder
Unterwart (Alsóőr) gehen auf solche Grenzwächtersiedlungen zurück. Die zweite
Form von Grenzdörfern bildeten die Bogenschützen (Lövő), Riedlingsdorfs
Nachbarorte Oberschützen und Unterschützen haben ihren Ursprung in derartigen
Wehrdörfern.
Abbildung 1: Gyepűsystem mit äußerer und innerer Verteidigungslinie und Beobachtern und Bogenschützen (Bildquelle: Wikimedia Commons - AlteBilder - Public Domain)
Das Niemandsland mit seinen wenigen wehrhaften Bewohnern
hatte somit die Aufgabe, einen feindlichen Vorstoß zumindest soweit zu
verlangsamen hatte, dass die zweite Verteidigungslinie, eine Kette von Burgen,
Zeit gewann um entsprechende Vorbereitungen für die Abwehr des Feindes zu
treffen.[1]
Abbildung 2: Rekonstruktion eines Gyepű-Durchlasstores bei Vasvár (Bildquelle: Wikimedia Commons - Darinko - Public Domain)
Gedicht von Bella Bodendorfer
Sprecher Hans H. Piff vulgo Kaipl Motz
Nachdem im Laufe der Zeit der militärische Nutzen des Gyepűsystems
verlorengegangen war, erfolgte im 12. und 13. Jahrhundert die Besiedlung des
Grenzödlandes mit deutschsprachigen Siedlern aus dem Westen. Vielen kamen aus
Niederösterreich und der Steiermark im Gefolge von Adeligen, welche in
ungarische Dienste traten. Manche dieser Siedler stammten vermutlich auch aus Bayern,
weil die Sprachwissenschaft burgenländische Mundarten in das Gebiet zwischen
Regensburg und Passau verortet.
Die Orte, welche diese Kolonisten anlegten, bestanden in der
Regel aus 20 bis 30 Höfen, welche zumeist Straßen-, Anger- oder Zeilendörfer
bildeten. Im Fall von Riedlingsdorf dürfte als Dorfform vermutlich jene eines
Waldhufendorfes gewählt worden sein. Diese Siedlungsform wurde bevorzugt in
Gebiete angelegt, die zuerst gerodet werden mussten. Dabei handelt es sich um
eine Form eines Straßendorfes, bei dem die Straße einem Bachlauf folgt. Die
Anlage des Hauptverkehrsweges erfolgte normalerweise außerhalb des
Überschwemmungsgebietes dieses Baches. Auf der einen Seite der Straße erhielten
die Kolonisten gleich breite Streifen, in denen sie auf der Straßenseite ihre
Häuser errichteten. Dahinter konnten sie Ackerbau betreiben, an die Äcker
schloss dann der Wald an, der bis zur Dorfgrenze reichte.[2]
Auf der anderen Seite der Straße befand sich meist der Anger (Ortsried), der von den
Dorfbewohnern gemeinschaftlich genutzt werden konnte. An den Riedlingsdorfer
Anger erinnern heute noch Riedbezeichnungen wie Ober- und Unteranger.
Interessant dabei, dass auch auf der Westseite der Pinka im Laufe der Zeit
Häuser entstanden, die nach dem gleichen Schema wie die Grundstücke auf der
Ostseite der Straße angelegt wurden.
Abbildung 3: Der Franziszeischer Kataster aus dem 19. Jahrhundert zeigt noch die alte Dorfstruktur
Die erste urkundliche Erwähnung der Ortschaft Riedlingsdorf
erfolgte am 1. September 1331, wo der Ort als RADOMFALVA bezeichnet wurde. Mit dieser Urkunde wurde eine Begehung
der Besitzungen Buchschachen und Allhau protokolliert, welche der Notar Paul
und der Richter Lukas im Auftrag des Eisenburger Komitats durchführten. Der
Rundgang, den die beiden an der Grenze zwischen Loipersdorf zu Grafenschachen
begannen, führte sie auch an den Hotter von Pinkafeld, wo sie folgende
Bestandsaufnahmen machten:
„Von dieser
durch einen Kirschbaum bezeichneten Grenzmarke führt die Grenze, wenn man auf
einen Hügel steigt, zurück zu einem nach Süden gerichteten Abschnitt, fällt
dann herab zu einem großen alten Weg und bildet nach Osten hin die Grenze zum
RADOMFALVA. Wenn man auf demselben Weg weitergeht, kommt man im Tal Kövessfö zu
zwei Grenzmarken aus Erde, auf denen zwei Eichen stehen, wo nach Osten hin
Oberwart und nach Westen hin Buchschachen angrenzen."
[3]
Das
Original dieser Urkunde ist nicht mehr vorhanden, aber eine Kopie ist im
Ungarischen Staatsarchiv in Budapest erhalten geblieben. Damit ist die
Gründungsgeschichte von Riedlingsdorf aber noch nicht fertiggeschrieben, denn
die Ortschaft muss zu diesem Zeitpunkt bereits einige Jahrzehnte bestanden
haben. Vielleicht führt ja der Zufall eines Tages dazu, dass ein weiteres
Dokument auftaucht, welches näher an das tatsächliche Gründungsjahr heranreicht
als die bisher gefundenen und so ein weiteres Kapitel der Riedlingsdorfer
Geschichte aufschlägt.
[1]
Vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Gyep%C5%B1,
abgerufen am 28.1.2022
[2]
Vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Waldhufendorf,
abgerufen am 28.1.2022
[3] Vgl. Riedlingsdorf 1331–1991,
Festschrift zum 660-Jahr-Jubiläum, herausgegeben von der Gemeinde Riedlingsdorf
1991.