Die Amerikawanderung der Riedlingsdorfer war Teil der großen
Auswanderungsbewegung welche im Laufe des 19. Jahrhunderts große Teile Europas
erfasste. Da es das Burgenland in seiner heutigen Form damals noch nicht gab
und die westungarischen Dörfer das unzusammenhängende Hinterland größerer ungarischer
Städte bildeten, begann die Auswanderung in den heutigen Landesteilen zu
unterschiedlichen Zeitpunkten.
Während der sogenannten Old
Immigration, die ca. um 1875 durch die New Immigration abgelöst wurde, war
das Ziel der wenigen Auswanderer der Mittlere Westen, wo man versuchte als
Farmer in den Vereinigten Staaten Fuß zu fassen. In dieser Zeit verließen nur
vereinzelt Personen ihre westungarische Heimat, die meist individuelle Gründe
vorzuweisen hatten, wie der bekannte Oberschützener Pfarrer Gottlieb August
Wimmer, der nach der Niederschlagung der Revolution von 1848/49 das Land
verlassen musste.
Abbildung 1: Auswanderer aus Österreich-Ungarn um 1910 in Triest (Bildquelle: commons.wikimedia.org/Lizenz: gemeinfrei)
Die New Immigration,
deren Ziele die amerikanischen Industriegebiete zuerst rund um Chicago und dann
später rund um New York waren, sollte schließlich dazu führen, dass ganze
Familien in Richtung Neue Welt aufbrachen. Diese Auswanderungswellen schwappten
zeitversetzt von Innerungarn aus auf die Gebiete des heutigen Burgenlandes
über. Erfasste die erste Welle um 1875 den Seewinkel, veranlassten weitere
Auswanderungswellen im Abstand von jeweils fünf Jahren zuerst die Bewohner der
heutigen Bezirke Oberpullendorf/Oberwart und dann der heutigen Bezirke
Güssing/Jennersdorf dieses Abenteuer zu wagen.
Der 1. Weltkrieg unterbrach dann jäh die Wanderungsbewegung,
welche aber nach Kriegsende in Form der Zwischenkriegswanderung schnell wieder einsetzte, um aber bereits
1924, nachdem die USA strengere Einwandergesetze erlassen hatten, wieder
abzuebben.
In den 1950er-Jahren kam es schließlich zu einer weiteren, im
Vergleich zur Massenauswanderung der vergangenen Jahre, eher kleineren
Auswanderungswelle deren vornehmliches Ziel Kanada darstellte.
Text von Bella Bodendorfer
Sprecher Hans H. Piff vulgo Kaipl Motz
Die Gründe für die Auswanderung waren ab Beginn der New
Immigration in den meisten Fällen wirtschaftlicher Natur. Dass während dieser
Auswanderungsbewegungen besonders viele Menschen aus dem Gebiet des heutigen Burgenlandes
ihre Heimat verließen lag unter anderem daran, dass es hier nur wenige
Möglichkeiten gab, sein wirtschaftliches Auskommen zu finden.
Industriearbeitsplätze waren rar gesät, die Landwirtschaften hatten durch das
ständige Teilen im Zuge von Erbschaften eine kritische Größe erreicht, mit der
man keine großen Familien mehr ernähren konnte. Viele Menschen sahen sich daher
gezwungen als Wanderarbeiter ihr Geld zu verdienen. Sie entwickelten dabei eine
im Vergleich zu anderen österreichischen Landesteilen außergewöhnliche
Mobilität, sodass sie sich um einiges leichter taten in der Fremde ihr Glück zu
suchen. Auch hatten bessere Lebensbedingungen im Vergleich zu den Jahrhunderten
davor in den Dörfern dazu geführt, dass die Sterberate sank, während die
Geburtenrate stieg. Der dadurch entstehende Druck durch das rasante
Bevölkerungswachstum entlud sich schließlich durch das Ventil der Auswanderung
nach Übersee.
Nicht immer bestand die Absicht für immer auszuwandern,
manchmal plante man für einige Jahre in die USA zu gehen, dort genügend Geld zu
verdienen und mit dem Ersparten zurückzukehren um hier eine größere
Landwirtschaft zu kaufen. Man schätzt, dass von den mindestens 60.000 aus dem
Burgenland ausgewanderten Menschen rund ein Drittel wieder zurückgekommen ist.
Manchmal kehrten diese Rückwanderer mit Kindern zurück, welche in den USA
geboren wurden. So lassen bzw. ließen sich auch in den Geburtsurkunden einiger
Riedlingsdorferinnen und Riedlingsdorfer amerikanische Geburtsorte finden.
Abbildung 2: Die spätere Auswanderin Berta Tunkl (1927 – 2022, vorne rechts) mit Eltern und fünf ihrer sieben Geschwister Anfang der 1940er-Jahre... (Bildquelle: Fotoarchiv Philipp Bundschuh)
Abbildung 3: ...und mit ihrem ebenfalls ausgewanderten steirischen Ehemann 1965 in Kanada (Bildquelle: Fotoarchiv Philipp Bundschuh)
Nachdem ab 1890 die Einwanderungszahlen in die USA sprunghaft anstiegen, wurde Ellis Island, eine kleine Insel im Hafengebiet von New York, als Einwanderungszentrum eingerichtet. Bis zu seiner Schließung 1954 sollten durch dieses Nadelöhr rund 12 Millionen Menschen aus aller Welt erstmals amerikanischen Boden betreten, sodass rund 40 Prozent der heute in den USA lebenden Menschen ihre familiäre Wurzeln auf Ellis Island zurückführen können. Für diese mehr als 100 Millionen Amerikanerinnen und Amerikaner ist diese kleine Insel somit ein „holy ground“, ein heiliger Boden.
Abbildung 4: Ellis Island - Das Tor für Millionen Einwanderer in die USA, heute ein Museum (Bildquelle: commons.wikimedia.org/Urheber: Rhododendrites/Lizenz: CC-BY-SA)
Sprecher Hans H. Piff vulgo Kaipl Motz
Die Erstauswanderung aus Riedlingsdorf fand im Jahre 1893 statt, denen in den Folgejahren noch mindestens 236 weitere Bewohner folgen sollten, deren Einwanderung in den USA sich anhand der Einwanderungslisten von Ellis Island nachvollziehen lässt. Der erste namentlich bekannte Auswanderer war der 31-jährige Tobias Zapfel, der 1902 seine Heimat über den Auswandererhafen Bremen mit der Kronprinz Wilhelm verließ, um wenige Tage später über Ellis Island in die USA einzureisen. Zwischen 1905 und 1907 erreichte die Vorkriegsauswanderung in Riedlingsdorf ihren Höhepunkt, als in diesen Jahren zusammen mindestens 63 Personen der Ortschaft den Rücken kehrten. 18 von ihnen fuhren 1907 von Triest aus mit der Francesca in die Neue Welt. Mit mindestens 34 Ausreisen wurde 1913 der höchste Jahreswert erzielt, ehe dann der 1. Weltkrieg die Auswanderung für die nächsten Jahre vollständig zum Erliegen brachte.
Abbildung 5: Mit der Kronzprinz Wilhelm reisten mindestens 22 Riedlingsdorferinnen und Riedlingsdorfer nach Westen (Bildquelle: commons.wikimedia.org/Lizenz: gemeinfrei)
Mit zusammen mindestens 36 Ausreisen aus Riedlingsdorf brachten
die Nachkriegsjahre 1922 und 1923 nochmals große Auswanderungsspitzen, ehe dann
ab 1924 die Auswanderung in die USA durch das Inkrafttreten strengerer
Einreisegesetze rasch abebbte.
Über 60 Prozent der ausgewanderten Riedlingsdorferinnen und
Riedlingsdorfer verließen über Bremen Europa in Richtung Amerika. Bemerkenswert
auch, dass ca. 80 Prozent jünger als 30 Jahre waren.
Der wohl bekannteste Auswanderer aus Riedlingsdorf ist der
Maler Gustav Rehberger, dessen Geschichte bei der Station „N6 – Gustav Rehberger“ beschrieben ist.
Abbildung 6: Gustav Rehberger während seiner Hochzeitsreise 1937 in Tirol (Bildquelle: Privatarchiv Pamela Demme)
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