Die Marktgemeinde Riedlingsdorf versuchte bei der
Neugestaltung des Gemeindezentrums auch das Kriegerdenkmal, das an
verschiedenen Standorten nunmehr bereits seit über 100 Jahren an militärische
und zivile Opfer beider Weltkriege erinnert, in einen Kontext zu rücken, der in
unsere Zeit passt bzw. zu passen schien, denn wie wir alle leider erfahren
mussten, sind militärische Auseinandersetzungen zwischen europäischen Staaten
auch im 21. Jahrhundert noch möglich.
Nachdem im Ersten Weltkrieg insgesamt 40 Riedlingsdorfer
Männer gefallen waren, erfolgte ihnen zu Ehren die Errichtung eines
Kriegerdenkmals. Die Inschrift „Errichtet im November 1922 mit Hilfe der
Riedlingsdorfer in Amerika“ erinnert daran, dass Spenden ausgewandeter
Riedlingsdorfer den Bau des Denkmales mitfinanzierten.
Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges ging eine Kommission
von Haus zu Haus um festzustellen, welche Namen auf den neuen Teil des
Kriegerdenkmals kommen sollten. Neben den Gefallenen der Ortschaft wurde dabei
auch der Opfer des Bombenkrieges (Maria Amtmann) und ziviler Opfer der
Kriegsendphase (Rosina Raas) gedacht.
Auf dem Denkmal nicht enthalten sind die Namen der Opfer der
Schreckensherrschaft des Nationalsozialismus. Dem Widerstandskämpfer Alfred
Hofer, der in einem Arbeitslager an den Folgen der unmenschlichen Behandlung
und der dort herrschenden Bedingungen starb, wurde in den 1990er-Jahren eine
Gedenktafel in der Nähe des Denkmalstandortes gewidmet.
An das bedauernswerte Schicksal der drei Riedlingsdorfer
Opfer der Aktion T4, dem nationalsozialistischen Euthanasieprogramm, wird nun
durch diese Station des Schalotten-Rundweges erinnert.
Dem
Kriegerdenkmal wurde bei der Neugestaltung des Platzes 2002 ein Friedensdenkmal
gegenübergestellt. So trägt eine fragile Glassäule eine aus weißem
Carrara-Marmor angefertigte Friedenstaube, die dem bedrohlichen Adler auf dem
Kriegerdenkmal als Symbol des Friedens gegenübergestellt ist. Verbunden sind
beide Denkmäler mit einer Metallkonstruktion, die eine Brücke zwischen
Vergangenheit und Gegenwart symbolisieren soll und Glasmosaikteile trägt, die
sich von dunkler Farbe aufseiten des Kriegerdenkmales in befreiende, helle
Farben aufseiten des Friedensdenkmals hin entwickeln.[1]
Abbildung 1: Das Kriegerdenkmal Anfang der 1930er-Jahre (Bildquelle: best-of-burgenland-com)
Gedicht von Bella Bodendorfer
Sprecher Hans H. Piff vulgo Kaipl Motz
Gedicht von Bella Bodendorfer
Sprecher Hans H. Piff vulgo Kaipl Motz
Gedicht von Bella Bodendorfer
Sprecher Hans H. Piff vulgo Kaipl Motz
Die Geschichte der Gefallenen des Ersten Weltkrieges im
Südburgenland und somit auch in Riedlingsdorf ist unweigerlich mit jener des k.u.k. Infanterieregiments „Freiherr von
Schikofsky“ Nr. 83 verbunden. Aufgestellt
aufgrund der Heeresreform 1882/83 war es jenes Infanterieregiment, zu dem die
Rekruten des Ergänzungsbezirkes 83 - Szombathely einbezogen wurden. Seine
Einheiten waren in den Garnisonsstandorten Komárom (Regimentsstab, II. und
IV. Bataillon), Szombathely (I. Bataillon) und Kőszeg (II.Bataillon) disloziert
und viele Riedlingsdorfer hatten in diesen Orten in der Zeit vor dem Krieg
ihren Wehrdienst abzuleisten.
Als nach der Kriegserklärung Österreich-Ungarns an Serbien am
28. Juli 1914 dieser lokale Konflikt aufgrund der damaligen Bündnisautomatik in
einen Weltkrieg mündete, wurde das Regiment im Rahmen der 33.
Truppen-Infanteriedivision an die Galizienfront verlegt, wo es bis zum November
1917 verblieb. In diesen drei Jahren wurde es mehrfach aufgerieben, um aus
Reserven immer wieder aufgestellt zu werden. Anschließend erfolgte seine
Verlegung an die Italienfront, wo durch eine Umgliederung aus Teilen des IR 83
das neue Infanterieregiment 106 entstand. Als sich im Oktober und November 1918
das Ende des Krieges und somit auch das Ende von Österreich-Ungarn abzeichnete,
gelang es den Kommandeuren, Oberst Josef Turba (IR 83) und dem legendären Anton Lehár (IR
106), beide Regimenter in voller Ordnung nach Ungarn zurückzuführen, während
andere Einheiten zerbrachen und in italienische Kriegsgefangenschaft gerieten.
Am 14. November wurden beide Regimenter in Szombathely vor einer riesigen
Menschenmenge empfangen, um dann offiziell aufgelöst zu werden, sodass die
Überlebenden in ihre Dörfer zurückkehren konnten.
Wie viele Riedlingsdorfer tatsächlich in diesem Regiment ihr
Leben verloren, lässt sich mit Sicherheit nicht sagen, aber aus dem vom k.u.k.
Kriegsministerium herausgegebenen Verlustlisten lässt sich ablesen, dass einige
Gefallene aber auch Verwundete aus Riedlingsdorf in den vier Bataillonen des IR
83 gekämpft hatten.
Die Tradition des k.u.k. Infanterieregiments „Freiherr von
Schikofsky“ Nr. 83 ging in der Folge auf Verbände des Österreichischen
Bundesheeres über. So ist das Jägerbataillon 19, das früher in der
Turba-Kaserne in Pinkafeld und Oberwart stationiert war und sich nunmehr zur
Gänze in Güssing befindet, der Traditionsnachfolger des Regiments.
1930
erfolgte in Pinkafeld die Gründung eines Traditionsverbandes ehemaliger
Angehöriger beider Regimenter. Ziel war die Errichtung eines Denkmales für die
Gefallenen, das dann tatsächlich am 1. Juli 1934 offiziell vor einer riesigen
Menschenmenge in Pinkafeld eingeweiht werden konnte. Eine Neuerrichtung des im
Zweiten Weltkrieg zerstörten Denkmales erfolgte 1959, in den 1990er-Jahren
wurde es auf das Gelände der damaligen Turba-Kaserne verlegt. Nach dem Abzug
des Bundesheeres nach Güssing verblieb der „Betende Stürmer“ auf dem Gelände,
das nun als Wohngebiet friedlicheren Zwecken dient.[2]
Abbildung 2: Einweihung des Denkmales für die Regimenter 83 und 106 in Pinkafeld am 1. Juli 1934 (Bildquelle: commons.wikimedia.org Autor Franz Karner Lizenz CC-BY-SA)
Nach dem Ende Österreich-Ungarns dauerte es noch drei Jahre
ehe das Burgenland aus den deutschsprachigen Gebieten mehrerer ungarischer
Komitate als neuntes Bundesland Österreichs entstand. Während schon dieses
Restösterreich anfangs nicht an sein Überleben glauben wollte und einen
baldigen Anschluss an Deutschland beabsichtigte,[3] hatten es die Bewohner des neuen Bundeslandes ungleich schwerer ein Österreich-
ja überhaupt ein Burgenland-Bewusstsein zu entwickeln. Jahrhundertelang bildete
man das Hinterland großer ungarischen Städte wie Szombathely oder Sopron.
Bahnlinien, Straßenwege,
Wirtschaftsbeziehungen und vieles mehr waren in Richtung dieser Städte
ausgerichtet und jetzt sollte man auf einmal mit den deutschsprachigen
Bewohnern anderer Komitate ein eigenes Gemeinschaftsgefühl entwickeln?
Ein weiteres großes Problem im jüngsten Bundesland war die
prekäre wirtschaftliche Situation. Zwar waren zwei Drittel der Bevölkerung bei
der Entstehung des Burgenlandes in der Landwirtschaft tätig, aber die
Bauernhöfe hatten aufgrund der Realteilung, bei der die Grundstücke auf alle
Nachkommen aufgeteilt werden, eine kritische Größe erreicht, die ihre Besitzer
nur in ärmlichen Verhältnissen leben ließ. Letztendlich suchten viele in der
Wanderarbeit oder gar in der Auswanderung ihr Glück. Die Weltwirtschaftskrise
von 1929 gab der Wirtschaft dann den letzten Rest und führte zur weiteren
Verarmung der Bevölkerung.[4]
Für Riedlingsdorf und seine Nachbarorte gab es ab 1934 mit
der Ausrufung des austrofaschistischen Ständestaates noch eine zusätzliche
Belastung, denn diese Orte waren mehrheitlich evangelisch und durch den
politischen Katholizismus, der im Ständestaat ein dominanter Faktor war, fühlten
sich viele Evangelische zusätzlich unter Druck gesetzt. Viele sehnten sich
daher an eine Heimkehr ins „Mutterland der Reformation“.[5]
Als die Nationalsozialisten schließlich 1933 in Deutschland
die Macht ergriffen und dort ein Wirtschaftswunder auslösten, gelangten
aufgrund des Juliabkommens 1936 auch hunderte arbeitslose burgenländische
Bauarbeiter als Gastarbeiter mit diesem Wirtschaftsaufschwung in Kontakt. Ihre
Berichte wirkten als Katalysator für den Aufstieg der NSDAP im Burgenland, obwohl
diese seit dem gescheiterten nationalsozialistischen Putsch-Versuch im Juli
1934 verboten war. Dass dieses Wirtschaftswunder nur auf Schulden aufgebaut war
und letztendlich nur der massiven militärischen Aufrüstung dienen sollte, das
sahen die meisten zu dieser Zeit leider nicht.
[6]
Dass der Bezirk Oberwart zu einer Hochburg der illegalen
NSDAP wurde, lag, neben den oben beschriebenen Faktoren, auch an der Person von
Tobias Portschy, einem Rechtsanwalt aus dem Nachbarort Unterschützen, der als
charismatischer Redner viele Menschen in seinen Bann zog.
Wie dem auch sei, anhand des Schicksals zweier junger
Riedlingsdorfer, Adolf Kaipel und Johann Nika, soll nun dargestellt werden, wie
sich diese Zeit im Leben der Dorfbewohner niederschlug.
Adolf Kaipel und Johann Nika waren Jugendfreunde und
begeisterten sich im Laufe der 1930er-Jahre derart für den Nationalsozialismus,
dass sie als sogenannte „Illegale“ Parteimitglieder der in Österreich
verbotenen NSDAP wurden. 1936 wurden sie sogar für einige Wochen in Wien
eingesperrt, weil ihre illegalen Aktivitäten aufgeflogen waren. Als 1938 der
Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich erfolgte, schien es als seien sie
am Ziel ihrer Träume, aber letztendlich sollten sie ihren naiven Idealismus mit
ihrem Leben bezahlen.
Sehr
schnell zeigten sich nämlich die wahren Absichten der Nationalsozialisten, als
ganze Jahrgänge zum Militärdienst eingezogen wurden um die massive Aufrüstung
mit Menschenmaterial zu speisen. So wurde Adolf Kaipel Anfang Dezember 1938 zum
Infanterie-Regiment 131 der 44. Infanterie-Division nach Břeclav (Lundenburg) eingezogen,
das durch die deutsche Besetzung des Sudetenlandes Garnisonsstandorte in der
Tschechoslowakei erhalten hatte.
Auch in Riedlingsdorf zeigte sich bald, dass die Aufbruchsstimmung,
die anfangs bei vielen vorgeherrscht hatte, recht bald verflogen war. Johann Nicka,
der erst später zur Wehrmacht eingezogen werden sollte, schrieb im Feber 1939
in einem Brief an Adolf Kaipel:
„…Lieber
Kamerad sonst ist in der Ortsgruppe ein großes Durcheinander, es sind nur immer
Streitigkeiten und Raufereien. Wer früher unsere besten Kameraden waren, sind
heute die schlechtesten…“
In einem anderen Brief beschrieb er wie feindselig die
Stimmung der Ortsbewohner ihm gegenüber geworden war, nachdem immer mehr Männer
zum Wehrdienst einberufen worden waren:
„…Einige
Riedlingsdorfer sind um vier Tage vor mir eingerückt. Diese paar Tage wären
aber bald nicht auszuhalten gewesen. So oft mir jemand begegnete, fragten sie
mich, ob ich noch zu Haus wäre. Zu meiner Mutter sagten einige, solche, die
Weib und Kinder haben, gehen und andere sind wohl zu Hause. Andere sagten zu
meiner Schwester, ich wäre doch illegal und sollte ja der erste an der Front
sein, das sieht so aus wie wenn uns allein das Vaterland gehören würde. Daraus
sieht man gleich, wie kameradschaftlich die Leute sind…“
Adolf Kaipel hatte in der Zwischenzeit bereits den
Polenfeldzug hinter sich gebracht und dort die Schrecken des Krieges hautnah
miterlebt. So schnitt sein Regiment einer polnischen Division ihren Rückzugsweg
ab und wurde daraufhin von dieser verzweifelt angegriffen, wobei insgesamt 60
seiner Kameraden den Tod fanden. Noch im Eindruck dieser Schlacht schrieb er
mehrere Briefe an seine Verwandten nach Hause:
„Liebe
Mutter! … Ich werde diesen Tag nicht vergessen, er war doch so wichtig. Nach
schwerem Ringen mit hungrigem Magen in den späten Abendstunden gab mir ein
Kamerad von der Mutter einen Brief. Worte, die so gottvertraut waren, gaben mir
frischen Mut…“
„Lieber
Bruder! Habe Deine Karte mit Freuden erhalten. Sitze nun auf einem Büschel
Stroh mit einem Bleistift und Papier, um auf Deine gütigen Worte zu antworten.
Glaube mir, es ist ein Gefühl, das man erst begreift, wenn man es selbst erlebt
hat, wie wunderbar es ist, wieder Heimatpost zu bekommen. Bruder, die Tage
werde ich nicht vergessen und bin dennoch glücklich, daß Euch nicht auch noch
dasselbe Schicksal trifft…“
Auffallend ist, dass je länger der Krieg dauerte, aus den
Briefen von Adolf Kaipel eine immer größer werdende Friedenssehnsucht
herauszulesen ist. Finden sich in den Briefen aus den Jahren 1938 bis 1940
immer wieder Stellen, wo er über sein Vertrauen auf den Führer schreibt und
zuversichtlich in die Zukunft blickt, so verschwinden diese Bezugnahmen auf
Adolf Hitler ab dem Beginn des Russlandfeldzuges im Juni 1941 aus seinen
Briefen völlig. Stattdessen bezieht er sich oft auf Gott und drückt immer
wieder die Hoffnung aus, dass bald Frieden kommen möge:
„Meine Lieben!
Komme endlich dazu und es ist mein größtes Bestreben rasch bevor abmarschiert
wird, Euch einige Zeilen zu schreiben. Es ist jetzt 19 Uhr, wir wollen noch
eine kleine Strecke marschieren. Die Sonne ist schon in den Wolken verschwunden
und nur einige Kilometer weiter links von uns rattern Maschinengewehre und
bersten Granaten. Was uns die kommenden Tage bringen, entzieht sich unserer
Kenntnis und ich kann Euch sagen, der Herr hat mir schon in diesen Tagen viel
Beistand geleistet. Wie oft denke ich an Euch und an zu Hause, doch weit ist
der Weg zurück ins Heimatland, so weit, so weit...“
„Meine
Lieben! Komme wieder einmal dazu Deinen Brief zu beantworten. Ich sitze in
einem ukrainischen Bauernhaus und draußen regnet es ohne Unterlaß. Jede Stunde
kann der Abmarschbefehl kommen, dann kennt der Soldat keinen Regen. Die Leute
sind gut zu uns, obwohl sie durch den Kommunismus verarmt sind. Ein jedes Haus
weist Spuren der Verwüstung auf...“
„Liebe
Mutter! Meine Kameraden gehen weiter nach Osten und ich mußte ein Lazarett
besuchen, denn es ging nicht weiter mit der Ruhr. Draußen regnet und schneit es
was vom Himmel fallen kann. Jetzt ist es nicht mehr schön in Rußland. Kein Weg,
alle Fahrzeuge stecken. Es ist jetzt so trostlos, nicht zu beschreiben. Manche
von meinen Kameraden haben schon Läuse, man kann schon fast sagen alle…“
„Meine
liebe Schwester! Deinen lieben Brief vom 15.12. habe ich mit großer Freude
erhalten. Bin soweit immer noch gesund, will auch das Gleiche von Euch
erhoffen. Manchmal sinkt auch bei uns die Temperatur auf -40 Grad. Es ist fast
nicht zum Aushalten. Was so ein Kampf im Winter heißt, kann man keinem Mensch
der Heimat beschreiben. Am Heiligen Abend habe ich von zu Hause ein Paket
bekommen, das ich leider nicht unter dem Weihnachtsbaum sondern in einem
Unterstand öffnen mußte. Die Russen schossen wie verrückt, die haben ihre
sibirischen Truppen eingesetzt...“
„Liebe
Schwester! Endlich komme ich wieder dazu einige Grüße zu schreiben. Auch
erhielt ich heute an meinem Geburtstag Deinen Brief. Aber, liebe Schwester, ich
muß Dich vorbereiten, das Schicksal ist unbarmherzig. Pöll Josef, der Mann von
Fleck Liesl Nr. 55, ist vorgestern gefallen. Jetzt bin ich schon solange
Soldat, doch so schlimm war es noch nie. Ich bin auf alles gefaßt. Werde Mutter
nicht mehr solche Dinge schreiben, bleibe aber Du meine gute Schwester und
sollst unser lieben Mutter beistehen, wenn uns das Schicksal abberuft…“
Diese Briefe sind ein Spiegelbild des deutschen Angriffes im
Süden der Ostfront im Bereich der Heeresgruppe Süd, zur der sowohl Adolf
Kaipels 44. als auch Johann Nickas 297. Infanterie-Divisionen als Teil der 6. Armee gehörten. Beides
Verbände, die in Wien und in Niederdonau, wie Niederösterreich zur Zeit des
Nationalsozialismus bezeichnet wurde, aufgestellt worden waren und dementsprechend
auch viele Riedlingsdorfer in ihren Reihen hatten. In den Briefen spiegelt sich
zuerst der erfolgreiche deutsche Vormarsch mit der Kesselschlacht um Kiew, dann
die Schlammperiode im Oktober und November 1941, anschließend die Gegenangriffe
der Roten Armee im Winter 1941/42 und schließlich eine neue Offensive der Roten
Armee im Frühjahr 1942 bei Charkow wider.
Im Juli 1942 hatten schließlich beide Freunde ihr Glück
aufgebraucht. Am 8. Juli 1942 schrieb Adolf Kaipels Kompaniekommandant Oberleutnant
Reinhold Schatte an dessen Mutter:
„Sehr
geehrte Frau Kaipel! Leider muß ich Ihnen, die für uns alle, besonders jedoch
für Sie traurige Mitteilung machen, daß Ihr Sohn, Unteroffizier Adolf Kaipel,
am 6.7.42 in Kupjansk gefallen ist. Er war am Abend des 6.7. mit seiner Gruppe
zum Verlegen von Minen eingesetzt, als eine der Minen auf ungeklärte Weise zur
Entzündung gebracht wurde. Dabei wurde er durch Splitter am Kopf verwundet und
ist ohne das Bewußtsein wiedererlangt zu haben, gestorben…“
Drei Wochen später starb auch sein bester Johann Nicka durch
eine sowjetische Fliegerbombe als sich seine Division auf den Vorstoß in
Richtung Stalingrad anschickte.
Am 19. November 1942 kesselte schließlich die Rote Armee
sowohl die 44. und die 297. als auch 18 weitere deutsche Divisionen der 6. Armee mit rund
250.000 Mann bei Stalingrad ein. Vier Riedlingsdorfer Soldaten erging es dabei
ähnlich wie Adolf Kaipels Kompaniechef Reinhold Schatte, der mit seinen letzten
Männern in diesem Kessel den überlebenswichtigen Flugplatz Pitomnik verteidigte:
„Der Gegner
brach in ihre Reihen ein, noch ehe sie sich zur Verteidigung einrichten
konnten… Der Versuch, diesen Einbruch im Gegenstoß zu bereinigen, misslang.
Oberleutnant Schatte fand dabei den Tod.
Zu einem planmäßigen Angriff fehlen die Kräfte. Panzer gab es nicht mehr, der
Rest der gesamten Divisionsartillerie hatte wenige Kilometer ostwärts die
Stellung 'letzte Batterie' bezogen, doch war wegen Munitionsmangel mit
wirksamer Feuerunterstützung nicht mehr zu rechnen. Die Infanterie, nur noch
auf ihre leichten Waffen angewiesen, befand sich am Ende ihrer Kräfte.“
Damit war aber dieser schreckliche Krieg, den die
Nationalsozialisten vom Zaun gebrochen und sich dabei des millionenfachen
Mordes schuldig gemacht hatten, noch lange nicht zu Ende. Das Sterben auf
beiden Seiten der Front sollte noch Jahre weitergehen, ehe es der Roten Armee
und den Westalliierten gelang nur durch die totale deutsche Niederlage dem
Nationalsozialismus ein Ende zu setzen.
Als die Waffen dann am 8. Mai 1945 endlich schwiegen, waren
nicht weniger als 97 Riedlingsdorfer gefallen oder vermisst. Für Dutzende
andere dauerte dieser Krieg aufgrund ihrer körperlichen und seelischen Wunden hingegen
noch ihr ganzes Leben lang...
Elisabeth Bundschuh, Marie F. und Johann H. gehörten zu jenen
rund 70.000 Menschen, welche von den Nationalsozialisten im Rahmen der Aktion T4 in den Gaskammern sogenannter
Tötungsanstalten ermordet wurden. Diesem systematischen Massenmord fielen
Menschen mit körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderungen zum Opfer.
Das Morden begann im Frühjahr 1940 und wurde dann aber aufgrund von Protesten im
August 1941 eingestellt, nachdem trotz verschiedenster Verschleierungsmaßnahmen
Informationen dieses Mordprogrammes an die Öffentlichkeit gelangt waren.
Die für die Alpen- und Donau-Reichsgaue zuständige
Tötungsanstalt befand sich in Schloss Hartheim in Alkoven/Oberdonau
(Oberösterreich). Dieses Schloss beherbergte seit 1898 eine
Betreuungseinrichtung für rund 200 behinderte Menschen, welche von den Barmherzigen
Schwestern betreut wurden. Anfang 1940 wurde diese Einrichtung aufgelöst und es
begann der Umbau einiger Erdgeschoßräume in eine Mordmaschinerie der im Rahmen
der Aktion T4 rund 18.000 Menschen zum Opfer fielen. Nach dem Ende dieser
Aktion wurden noch rund 12.000 Insassen des Konzentrationslagers Mauthausen und
seiner Nebenlager in Schloss Hartheim umgebracht.
Abbildung 3: Schloss Hartheim mit einer Kunstinstallation, die an den Holzverschlag erinnern soll (Bildquelle: Wikimedia Commons - Dralon - CC-BY-SA)
Es ist aus heutiger Sicht unglaublich, dass für die
Durchführung dieser schrecklichen Verbrechen nicht mehr notwendig war als ein
Entkleideraum, ein Untersuchungsraum, die Gaskammer und ein Krematorium. Und
eine Organisation, die systematisch die Behinderteneinrichtungen der Alpen- und
Donau-Reichsgaue nach Opfern durchforstete, um sie möglichst unauffällig nach
Schloss Hartheim zu verfrachten und ihre Ermordung vor der Öffentlichkeit
geheim zu halten.
Meist
erfolgte der Antransport über die Zwischenstation Niedernhart in Linz, von wo
aus die Menschen nach Hartheim in Bussen gebracht wurden. Um ihre Ankunft vor
den Blicken der Anrainer zu verschleiern, wurde beim Seiteneingang, über den
das Schloss betreten wurde, ein Bretterverschlag errichtet. Einmal im Schloss
angekommen, mussten sich die Menschen entkleiden und bei der anschließenden
Untersuchung wurde lediglich ihre Identität festgestellt. Menschen mit
Goldzähnen malte man ein Kreuz auf den Rücken, damit diese nach der Ermordung mit
Zangen von den sogenannten „Brennern“, jenes Personal welches das Krematorium
bediente, entfernt werden. Als Gas verwendete man Kohlenmonoxyd, das man in die
Gaskammer einleitete in dem sich die Opfer in Gruppen von 30 bis 60 Personen
befanden. Da die vielen Leichen erst nach und nach im Krematorium verbrannt
werden konnten, wurde sie in einem weiteren Raum zwischengelagert. Ihre Asche
wurde anfangs am Donauufer verstreut, später dann im Schlosspark in Gruben geschüttet.
Abbildung 4: Mit diesem und anderen Bussen wurden die Opfer von Niedernhart nach Hartheim transportiert (Bildquelle: Wikimedia Commons - Dokumentationsstelle Hartheim)
Die anschließenden Verschleierungsmaßnahmen sahen so aus,
dass die Angehörigen mehrere Schreiben bekamen, die sie über die Abfahrt von
der abgebenden Anstalt und der Ankunft in Schloss Hartheim informierten, alle
mit falschem Datum versehen. Zehn bis zwanzig Tage nach der Ermordung erhielten
die Angehörigen einen „Trostbrief“ in dem sie dann über den Tod ihres
Angehörigen informiert wurden, wobei fälschlicherweise eine natürliche Todesursache
angegeben war.
Beim ersten Riedlingsdorfer Opfer handelte es sich um die
42-jährige Elisabeth Bundschuh, welche am 22. September 1938 in der Nervenheilanstalt Feldhof in Graz
aufgenommen worden war. Von dort wurde sie am 7. Feber 1941, vermutlich über
den Umweg Niedernhart, nach Schloss Hartheim überstellt und dort umgehend
ermordet. Der 38-jährige Johann Huber folgte ihr nur sechs Tage später, auch er dürfte sich zuvor in der
Nervenheilanstalt Feldhof befunden haben. Der Transport der 69-jährigen Marie
Fleck ging am 7. August 1941 von der Heil-
und Pflegeanstalt Mauer-Öhling aus nach Hartheim. Eventuell gibt es noch
ein viertes Opfer, denn die 1910 in Wien geborene Helene Kurz geb. Zapfel hatte einen für
Riedlingsdorf typischen Mädchennamen und Riedlingsdorf scheint in den Akten
auch als Zuständigkeitsort auf.
Nach dem Abbruch der Aktion T4 nahm das Verwaltungspersonal
von Schloss Hartheim Schlüsselpositionen bei der Vernichtung der Juden ein, so
wurden sie im Rahmen der Aktion Reinhard als Kommandanten der Vernichtungslager Belzec (Christian Wirth, der sogar zum
Inspekteur aller Vernichtungslager aufstieg), Sobibor (Franz Stangl, Franz
Reichleitner) und Treblinka (Franz Stangl) eingesetzt und zeichneten in diesen
Funktionen für den Tod von rund 2 Millionen Juden verantwortlich.
Während Gerichtsverhandlungen nach dem Ende des Krieges nur
ganz wenige Verurteilungen für Mitglieder des Pflegepersonals von Schloss
Hartheim brachten, konnte zumindest Franz Stangl 1970 wegen gemeinschaftlichen
Mordes an 400.000 Juden zu lebenslanger Haft verurteilt werden.
Aufgrund
der Wohnraumnot nach Kriegsende und eines Hochwassers wurde das Schloss wieder
bewohnt und die ehemaligen Räume der Tötungsaktion benutzte man als Lagerräume.
Erst 1997 beschloss das Land Oberösterreich Schloss Hartheim zu einem Ort des
Gedenkens zu machen. Es folgten Grabungen des Landesarchives im Umfeld des
Schlosses, im Gebäude selbst wurden die baulichen Spuren der Tötungsanstalt freigelegt
und gesichert. 2003 wurde schließlich
der Lern- und Gedenkort Schloss Hartheim feierlich eröffnet. Im ehemaligen Untersuchungsraum sind Glastafeln
aufgestellt, auf denen sich die Namen der rund 30.000 Menschen befinden, die
nur wenige Meter davon entfernt ermordet wurden. Die Namen, auch die von
Elisabeth Bundschuh, Marie Fleck, Johann Huber und Helene Kurz, sind dabei zufällig angebracht, um
allfällige Interpretationen hinsichtlich Wertung oder Bedeutung der jeweiligen
Person zu vermeiden.
Abbildung 5: Der Name von Elisabeth Bundschuh auf einer der Gedenkplatten im ehemaligen Untersuchungsraum in Schloss Hartheim (Bildquelle: Wikimedia Commons - Stefan97 - CC-BY-SA)
Am 1. November 2022 wurden im Zuge des alljährlichen Totengedenkes von vier Gemeinderäten Blumengestecke für die vier Riedlingsdorfer Euthanasieopfer an der Station 11 abgelegt, während Opferangehöriger Heinz Bundschuh die rund 150 Teilnehmer dieser Gedenkfeier über den Sachverhalt informierte.
Abbildung 6: Station 11 - "Stätte der Erinnerung" zu Allerseelen 2022 mit den von den Gemeinderäten niedergelegten Blumengestecken (Bildquelle: Wikimedia Commons - Stefan97 - CC-BY-SA)
Weiterführende Links:
[1] Gottfried
Reszner: Kunstdenkmäler in Riedlingsdorf in 680 Jahre Marktgemeinde Riedlingsdorf
– Ein Spaziergang durch Dorf und Zeit, Herausgeber Marktgemeinde
Riedlingsdorf 2011, Seite 105 bis 107
[2] Vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/K.u.k._Infanterieregiment_%E2%80%9EFreiherr_von_Schikofsky%E2%80%9C_Nr._83,
abgerufen am 6. Juni 2022 [1] Vgl. Herbert Brettl: Nationalsozialismus im Burgenland – Opfer Täter Gegner,
StudienVerlag, Wien 2013, Seite 19 bis 22
[3]
Vgl. Herbert Brettl: Nationalsozialismus
im Burgenland – Opfer Täter Gegner, StudienVerlag, Wien 2013, Seite 19 bis
22
[4]
Vgl. Herbert Brettl: Nationalsozialismus
im Burgenland – Opfer Täter Gegner, StudienVerlag, Wien 2013, Seite 31 bis
35
[5]
Vgl. Herbert Brettl: Nationalsozialismus
im Burgenland – Opfer Täter Gegner, StudienVerlag, Wien 2013, Seite 132 bis
133
[6]
Vgl. Herbert Brettl: Nationalsozialismus
im Burgenland – Opfer Täter Gegner, StudienVerlag, Wien 2013, Seite 46 bis
50