Der Ortsried „Haidenau“ erstreckt sich südlich von
Riedlingsdorf entlang der Pinkatalbahnlinie und der Steinamangerer Bundesstraße
B 63 in Richtung Oberwart. Am 22. Juli 1922 war dieser Ortsried Schauplatz
eines Zugunglücks, das sich auch tief in das Gedächtnis des wohl bekanntesten Riedlingsdorfer
Auswanderers, dem damals 12-jährigen Gustav Rehberger, eingeprägte.
Die Geschichte der Pinkatalbahn reicht zurück bis ins 19.
Jahrhundert, als Riedlingsdorf oder besser gesagt Rödöny, wie die Ortschaft
damals auf Ungarisch bezeichnet wurde, noch Teil des Königsreiches Ungarn war.
Ab dem Jahre 1881 entwickelten sich verschiedene Initiativen,
an deren Spitze Männer wie der Rotenturmer Graf Julius von Erdödy oder der
Pinkafelder Unternehmer Alexander Putsch standen. Nachdem in den Folgejahren
zwei Kommissionen die Trassenführung der neuen Bahnlinie geplant hatten, wurde
am 7. Februar 1887 in Budapest deren Bau schließlich abgesegnet. Um den Bau zu
finanzieren, erfolgte wenig später die Gründung der „Steinamanger – Pinkafeld
Local-Eisenbahn Actiengesellschaft“, deren Aktien von den Anrainergemeinden,
Banken, Firmen und Privatpersonen gezeichnet wurden.
Die neue Bahnlinie sollte Steinamanger mit seinem westlichen
Hinterland verbinden und führte von der großen ungarischen Stadt über Rechnitz,
Oberwart und Riedlingsdorf nach Pinkafeld und endete dort im Bahnhof
Alt-Pinkafeld. An einen Weiterbau nach Norden, um Anschluss an das
österreichische Bahnnetz zu finden, war nicht gedacht. Auch weil die spätere
Wechselbahn zum damaligen Zeitpunkt noch nicht existierte und erst über zwei
Jahrzehnte später errichtet werden sollte, sodass erst 1924/25 die Anbindung
der Pinkatalbahn an das steirische Bahnnetz realisiert werden konnte.
Nachdem am 6. Dezember 1887 die Baugenehmigung erteilt worden
war, begann das mit dem Bahnbau beauftragte Unternehmen, die in München
ansässige „Lokalbahn-Aktiengesellschaft“, mit der Errichtung der Trasse,
während andere Firmen, wie der Pinkafelder Baumeister Lang, entlang der neuen
Bahnlinie für die notwendige Infrastruktur in Form von Stationsgebäuden
sorgten.
Nachdem am 28. Oktober 1888 bei einer Probefahrt die erste
Lokomotive den Kopfbahnhof Alt-Pinkafeld erreichte, erfolgte am 16. Dezember
schließlich die feierliche Eröffnung der Bahnlinie. Fortan fuhren täglich drei
Züge von Steinamanger und einer von Großpetersdorf hin und zurück. Für die
Strecke Steinamanger – Pinkafeld benötigte ein Zug rund drei Stunden.
Gedicht von Bella Bodendorfer
Sprecher Hans H. Piff vulgo Kaipl Motz
Am 22. Juli 1922 kam es südlich von Riedlingsdorf zu einem
Zugsunglück bei dem die gesamte Zugsgarnitur, bestehend aus der Lokomotive, dem
Gepäcks- und drei Personenwagen, aus den Schienen sprang und seitlich umkippte.
Die Wochenzeit „Burgenländische Freiheit“ berichtete damals
über den Unfall:
"Am 22. Juli
ist außerhalb unserer Station der Zug, der um 3/4 1 Uhr mittags von
Pinkafeld
nach
Rechnitz
abgeht,
entgleist. Drei Frauen wurden schwer verletzt, 20 andere Passagiere leicht. Die
Entgleisung ist auf die schlechte Beschaffenheit des Bahnkörpers, namentlich
des Unterbaues zurückzuführen. Der Verkehr wird vorläufig durch Pendelwagen
aufrechterhalten. Das Unglück hat großes Aufsehen, und in der Bevölkerung
lebhafte Beunruhigung verursacht.“
Tatsächlich
stellte eine später eingesetzte Kommission fest, dass gleich 39 Schwellen
morsch waren und nachgaben, auch weil die eingesetzte Lokomotive für den
Oberbau und seine Schwellen zu schwer war.
Abbildung 1: Zugunglück im Ortsried Haidenau am 22. Juli 1922 (Bildquelle: Mario Unger)
Unter
den vielen Ortsbewohnern, die zu Fuß oder mit den Fahrrädern zur Unglückstelle eilten,
um sich den entgleisten Zug anzusehen, befand sich auch der 12-jährige Gustav
Rehberger. In der Schule bereits durch sein Talent aufgefallen, fertigte er von
der Szenerie eine Zeichnung an. Ein zufällig anwesender Mann, der in Wien
lebte, kam auf ihn zu und erklärte ihm nach Betrachtung des Werkes die
Grundlagen des Perspektivischen Zeichnens.
Für den jungen Riedlingsdorfer bedeutete
dies ein Schlüsselerlebnis an das er sich Jahrzehnte später bei einem Interview
mit dem The
Ellis Island Oral History Project noch
erinnerte. Auch war diese Zeichnung einer der wenigen Gegenstände, welche
Gustav Rehberger bei der ein Jahr später erfolgten Auswanderung seiner Familie
mit sich in die Neue Welt nahm. In seinem späteren Leben bildete er Hunderte
Kunststudentinnen und Kunststudenten aus und bei seinen Vorlesungen verwendete
er die beim Zugsunglück angefertigte Zeichnung dafür um ihnen die kindlichen
Fehler, die er beim Zeichnen damals begangen hatte, zu erklären.
Abbildung 2: Gustav Rehbergers Zeichnung des Zugunglückes (Bildquelle: Bildarchiv Pamela Demme)
Ein Bericht über die Reparaturarbeiten, welcher die damals nach wie vor schwierigen politischen Verhältnisse nach der Entstehung des Burgenlandes 1921 widerspiegelt, ist von Ingenieur Franz Stüber, Baurat der österreichischen Bundesbahnen, erhalten geblieben:
"Der zu Mittag von
Pinkafeld nach Steinamanger abgehende Personenzug Nr. 549 war gleich hinter der
Haltestelle Riedlingsdorf entgleist, die Lokomotive und sämtliche Wagen waren
über die ungefähr drei Meter hohe Böschung abgestürzt. Das dienstliche
Telegramm war nicht rechtzeitig eingelangt, weil es nicht über die normale
Telegraphenverbindung Rechnitz— Rattersdorf-Liebing Deutsch-Kreutz—Eisenstadt
gegangen war, einer Verbindung welche zur Umgehung der ungarischen Gebietsteile von
Steinamanger—Güns und Oedenburg eingerichtet worden war.
Am Tage des
Eisenbahnunfalles wurde nämlich [zufälligerweise] die Telegraphenverbindung Rechnitz—Rattersdorf-Liebing,
welche eine vom Bundesheer aufgestellte Feldtelegraphenlinie war, aus
militärischen Rücksichten abgebrochen, wie wir später hörten, mit Rücksicht auf
ihre Gefährdung durch eine starke ungarische Bandenbewegung in diesem Grenzabschnitt.
Nachdem aus der
Pinkafelder-Strecke keinerlei Einrichtungen zum Beheben größerer
Eisenbahnunfälle vorhanden sind, stellte ich noch im Laufe des 24. Juli einen
Hilfszug in Bruckneudorf zusammen, bestehend aus Zugslokomotive, zwei
Lokomotivmannschaften (zur Ermöglichung ununterbrochener Dienstleistung durch
Ablösung), einen Requisitenwagen mit Werkzeugen, einen Wagenkran, einen Wagen
mit Holzschwellen als Unterlage beim Heben der entgleisten Lokomotive, einen
Personenwagen als Unterkunftswagen für das Zugpersonal und die sechs
Maschinenschlosser und — last [but] not Ieast— einen Waggon Kohle zum Nachfassen für
die Zugslokomotive.
Selbstverständlich mußte
jeder der mitfahrenden Bediensteten ein Grenzübertrittsdokument haben, jeder
einzelne Wagen (über ungarisches Gebiet auch die Lokomotive) mit Frachtbrief
wie jedes gewöhnliche Privatgut aufgegeben werden. Bei Morgengrauen des 25.
Juli fuhren wir von Bruckneudorf ab und kamen trotz Zoll- und Paßrevision an
den vier Grenzen abends noch an der Unfallsstelle an.
Die Eingleisung der
Lokomotive und sämtlicher Wagen erforderte angestrengte Tätigkeit und war im
Laufe des 26. und 27. Juli bewerkstelligt. Frühmorgens, am 28. Juli, fuhren
wir mit unserem Hilfszug und unserer Mannschaft wieder nach Bruckneudorf zurück.
Dieser Unfall, bei dem glücklicherweise nur zwei Personen ernsthafter verletzt
worden waren, und dessen Behebung so viel Zeitaufwand und Mühe erfordert hatte,
gab die Veranlassung, daß wir mit den königlich ungarischen Staatsbahnen ein
Übereinkommen trafen, nach welchem bei allfälligen größeren Unglücksfällen über
unser Ersuchen die Unfallsbehebung auf Kosten der österreichischen Bundesbahnen
durch die königlich ungarische Staatsbahn von Steinamanger aus besorgt wird."